Die Geschwindigkeitsüberschreitung gehört zu den häufigsten Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr. Dabei spielen zwei Fragen eine zentrale Rolle:
- Was ist die prozessuale Tat bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren?
- Wie wird der Toleranzwert bei standardisierten Messverfahren korrekt berechnet?
Das BayObLG (Beschluss vom 03.02.2025 – 201 ObOWi 22/25, NJW 2025, 2791; NStZRR 2025, 221; ZfS 2025, 469) hat hierzu wichtige Klarstellungen getroffen.
Sachverhalt
Ein Betroffener war am 30.07.2023 außerhalb geschlossener Ortschaften mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit unterwegs. Die Polizei führte eine Nachfahrmessung mit dem System ProVida 2000 Modular im Modus SPLITdurch. Das Amtsgericht verurteilte den Fahrer wegen einer Überschreitung von 55 km/h zu einer Geldbuße von 480 Euro und einem einmonatigen Fahrverbot.
Hiergegen legte der Betroffene Rechtsbeschwerde ein. Er rügte insbesondere die Berechnung der Toleranz und stellte die Einordnung der Tat in Frage.
Entscheidungsgründe des BayObLG
1. Prozessuale Tat bei Nachfahrmessung
Das Gericht stellte klar:
- Die prozessuale Tat richtet sich nach dem Fahrverhalten vor der Anhaltung (§ 264 StPO).
- Tatzeit und Tatort sind dabei von untergeordneter Bedeutung.
- Mehrere Verstöße innerhalb einer Fahrt können als einheitlicher Vorgang gewertet werden. Eine neue Tat liegt regelmäßig erst dann vor, wenn das Fahrzeug nicht nur verkehrsbedingt anhält und die Fahrt danach fortgesetzt wird.
2. Toleranzwert bei standardisiertem Messverfahren
Besonders praxisrelevant:
- Bei standardisierten Messverfahren ist ein Toleranzabzug von 5 % vorzunehmen.
- Zwischenwerte (z. B. 7,9 km/h) müssen immer aufgerundet werden – im Fall also
auf 8 km/h. - Damit wurde dem Fahrer nicht eine Überschreitung von 55 km/h, sondern von 50
km/h zur Last gelegt.
3. Ergebnis
Das BayObLG änderte die Entscheidung ab:
- Schuldspruch: fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung um 50 km/h
- Geldbuße: 320 Euro
- Fahrverbot: 1 Monat, wirksam mit Abgabe des Führerscheins, spätestens nach 4 Monaten.
Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung stärkt die Rechtssicherheit bei Bußgeldverfahren:
- Bei Nachfahrmessungen zählt das gesamte Fahrverhalten, nicht kleinste Abweichungen bei Ort oder Zeit.
- Toleranzwerte sind stets zugunsten des Betroffenen zu berücksichtigen.
- Schon wenige km/h können über die Schwere der Sanktion (z. B. Fahrverbot) entscheiden.
Ratschläge für Betroffene bei Geschwindigkeitsüberschreitungen
- Keine vorschnellen Angaben: Machen Sie keine Einlassungen gegenüber der Polizei ohne rechtliche Beratung.
- Messung prüfen lassen: Auch standardisierte Verfahren wie ProVida können Fehler oder Auslegungsspielräume aufweisen.
- Toleranzabzug beachten: Bereits 1 km/h kann den Unterschied zwischen einer härteren oder milderen Sanktion ausmachen.
- Rechtsmittel nutzen: Rechtsbeschwerden oder Einsprüche können erfolgreich sein, wie dieser Fall zeigt.