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Urlaubsreise in die Türkei keine Angelegenheit des täglichen Lebens

Bei der Durchführung einer Urlaubsreise in die Türkei mit dem gemeinsamen Kind handelt es sich nach wie vor nicht um eine Angelegenheit des täglichen Lebens i. S. d. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB.

Urlaubsreise in die Türkei keine Angelegenheit des täglichen Lebens

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 27. Juni 2018 – 4 UF 110/18

Amtliche Leitsätze:

  1. Bei der Durchführung einer Urlaubsreise in die Türkei mit dem gemeinsamen Kind handelt es sich nach wie vor nicht um eine Angelegenheit des täglichen Lebens i. S. d. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB.
  2. Alleine auf die unsichere politische Situation in der Türkei gestützte Bedenken des anderen Elternteils rechtfertigen angesichts der inzwischen eingetretenen Stabilisierung der Lage zumindest in den Urlaubsgebieten am Mittelmeer jedoch nicht mehr, von einer Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis über die Reise nach § 1628 BGB auf den diese planenden Elternteil abzusehen.

 

TENOR:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den am 13.06.2018 erlassenen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wetzlar wird zurückgewiesen.

GRÜNDE:

Die n zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Das Familiengericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist (Anordnungsanspruch) und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (Anordnungsgrund). Beide Voraussetzungen sind hier zu bejahen.

Zunächst hat das Familiengericht den Antrag der Kindesmutter auf Verpflichtung des Kindesvaters (Antragsgegners) zur Erteilung seiner Zustimmung zu ihrer Ende Juni 2018 anstehenden Urlaubsreise mit den gemeinsamen Kindern in die Türkei zutreffend als Antrag auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Reise nach § 1628 BGBausgelegt,§§ 133, 157 BGB. Denn die Eltern üben die elterliche Sorge für A und B gemeinsam aus und sind daher berechtigt und verpflichtet, die ihre Kinder betreffenden Entscheidungen in eigener Verantwortung und gegenseitigem Einvernehmen, also gemeinsam zu treffen. Können sie sich trotz entsprechender Bemühungen nicht einigen, hat die nur von einem Elternteil befürwortete Maßnahme grundsätzlich zu unterbleiben.Gemäß § 1628 BGBkann das Familiengericht in derartigen Situationen die Entscheidungsbefugnis aber dann auf einen Elternteil allein übertragen, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist und seinem Wohl am besten entspricht. Dem entspricht auch die Begründung des Sachantrags der Kindesmutter, in der diese ausdrücklich „eine Regelung hinsichtlich des bevorstehenden Urlaubs“ begehrt.

Der Senat teilt ferner die Auffassung des Familiengerichts, dass eine Urlaubsreise in die Türkei in der derzeitigen Lage keine Angelegenheit des täglichen Lebens ist, über die trotz des bestehenden Mitsorgerechts die Kindesmutter als Obhut ausübender Elternteil gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB alleine entscheiden kann, sondern dass es der Zustimmung des mitsorgeberechtigten Kindesvaters bedarf. Die Durchführung einer Reise, die besondere Gefahren mit sich bringen kann, die mit dem Reiseziel zusammenhängen und die über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehen, ist nicht von der Alleinentscheidungsbefugnis des § 1687 Abs. 1 S. 2 BGBgedeckt.

Von derartigen Risiken ist für die beabsichtigte Reise (noch) auszugehen. Die Türkei war in den letzten Jahren mehrfach Ziel terroristischer Anschläge, befindet sich in ihren östlichen Grenzregionen faktisch im Kriegszustand mit jenseits der Grenzen lebenden Bevölkerungsgruppen und befindet sich jedenfalls zurzeit im Ausnahmezustand, der eine Einschränkung des Rechtsschutzes im Falle von behördlicher Verfolgung zeitigt. Diese Gefahrenlage schließt zwar Urlaubsreisen in das von der Kindesmutter gewählte Ziel – Stadt1 – nicht aus, weshalb sich Eltern weiterhin dafür entscheiden können, mit ihren Kindern dort ihren Urlaub zu verbringen. Da die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam ausüben, setzt dies aber voraus, dass die Entscheidung von beiden getragen wird.

Ist dies nicht der Fall, hat das Gericht ohne Rücksicht auf die Antragstellung die Entscheidung zu treffen, die dem Kindeswohl am besten entspricht. Nach diesen Maßstäben war die Entscheidungsbefugnis über die bevorstehende Urlaubsreise auf die Kindesmutter zu übertragen.

Der Senat teilt die Bedenken des Kindesvaters hinsichtlich der Durchführung der Reise nicht. Soweit er seine Zweifel zunächst primär auf eine vermeintlich fehlende Erziehungseignung der Kindesmutter – verursacht durch eine psychische Erkrankung – und seine vermeintlich bessere eigene Erziehungseignung gestützt hat, erschöpfen sich seine Ausführungen zu diesem Thema überwiegend in einer Schilderung des Trennungskonflikts mit seiner Frau. Nicht erkennbar ist, dass die Kinder über das in diesem Kontext übliche Maß hinaus von dem Streit ihrer Eltern betroffen sind und das Kindeswohl dadurch beeinträchtigt wird. Die vom Kindesvater diagnostizierte paranoide Persönlichkeitsstörung der Mutter macht er daran fest, dass diese ohne vorherige Rücksprache mit ihm einen Steuerklassenwechsel initiiert habe und aus der Ehewohnung ausgezogen sei. Auch hier vermag der Senat kein über das im Zusammenhang mit Trennungssituationen Übliche hinausgehendes Fehlverhalten der Kindesmutter zu erkennen, das einen Rückschluss auf eine Erkrankung zulassen würde.

Im Hinblick auf die bei einer Urlaubsreise in die Türkei konkret drohenden Gefahren hatte sich der Kindesvater zunächst auf Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amts vom 06.06.2018 bezogen, in denen von erhöhten politischen Spannungen und Protesten im Zusammenhang mit der anstehenden (inzwischen durchgeführten) Präsidentenwahl die Rede ist. Diese Hinweise gelten (Stand 27.06.2018) unverändert fort. Wörtlich heißt es darin u. a.:

„Reisenden wird empfohlen, sich von politischen Veranstaltungen und grundsätzlich von größeren Menschenansammlungen fernzuhalten.

Unter Geltung des seit Juli 2016 bestehenden Notstands wurden vermehrt auch deutsche Staatsangehörige willkürlich inhaftiert.

Betroffen von derartigen Maßnahmen sind insbesondere, aber nicht ausschließlich deutsche Staatsangehörige mit engen privaten und persönlichen Bindungen in die Türkei sowie Personen, die neben der deutschen auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzen.

Zudem wurde deutschen Staatsangehörigen seit Anfang 2017 in zahlreichen Fällen ohne Mitteilung der Gründe die Einreise verweigert. Betroffene Personen mussten nach einer Wartezeit in Gewahrsam von mehreren Stunden bis zu einigen Tagen ihre Rückreise nach Deutschland antreten. Dabei wurden ihnen auch ihre Mobiltelefone abgenommen und auf gespeicherte Inhalte sowie Kontakte durchsucht.

In der Türkei ist es insbesondere seit Mitte 2015 wiederholt zu terroristischen Anschlägen gekommen.

Diese können sich auch gezielt gegen Ausländer richten.“

Für das am Mittelmeer gelegene Reiseziel Stadt1 gilt jedoch folgendes:

„Aus den touristischen Reisezielen entlang der Mittelmeerküste wurden bislang keine sicherheitsrelevanten Ereignisse gemeldet, bei denen ausländische Touristen zu Schaden gekommen sind.“

Vor diesem Hintergrund erscheint die in eigener Verantwortung getroffene Entscheidung der Kindesmutter vertretbar, auch unter Berücksichtigung der aktuellen politischen Situation ihren Urlaub mit den Kindern dort zu verbringen. Für das Ausbrechen der vom Kindesvater befürchteten politischen Unruhen nach der Wahl bestehen keine objektiven Anhaltspunkte. Insbesondere ist die von ihm zu Vergleichszwecken herangezogene Entwicklung in Kenia und in Nicaragua nach dort durchgeführten Wahlen nicht mit der in der Türkei vergleichbar.

Soweit der Kindesvater darüber hinaus in der außergerichtlichen Korrespondenz gegenüber dem Bevollmächtigten der Mutter Bedenken geäußert hatte, A. sei wegen der von ihm krankheitsbedingt eingenommenen Immunsuppressiva angesichts der defizitären hygienischen Zustände im Urlaubsgebiet besonderen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt, erschließt sich dem Senat nicht, warum die Kindesmutter nicht in der Lage sein sollte, entsprechende Vorkehrungen zum Schutz ihres Kindes zu treffen, insbesondere selbst für die erforderliche Hygiene im unmittelbaren Umfeld As zu sorgen. Nach Angaben der Kindesmutter gegenüber dem Verfahrensbeistand hat der von ihr wegen dieses Problems konsultierte Arzt erklärt, es bestehe kein erhöhtes Risiko. A selbst hat erklärt, sein Arzt habe ihm gegenüber die Chance, dass etwas passiere, mit 1: 1000 beziffert. Im Übrigen ist nicht erkennbar, dass die Kinder mit fast … bzw. … Jahren nicht in der Lage sein könnten, die mit der geplanten Flugreise nach Stadt1 verbundenen körperlichen Anstrengungen zu verkraften. Zudem dürfte die gemeinsame Zeit mit Mutter und Großmutter nicht nur der Erholung, sondern auch der Festigung des familiären Zusammenhalts und damit dem Kindeswohl dienlich sein.

Schließlich haben sich neben den vom Familiengericht persönlich angehörten Kindern auch der Verfahrensbeistand und die fallzuständige Mitarbeiterin des Jugendamts für die Durchführung der Urlaubsreise ausgesprochen.

Soweit das Familiengericht den Antrag der Kindesmutter auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Teil-Beschluss beschieden hat, war mit der Beschwerdeentscheidung klarzustellen, dass es sich um eine Endentscheidung handelt, da eine Bescheidung des Widerantrags des Kindesvaters im Hinblick auf sein Ablehnungsgesuch erst nach Beendigung des geplanten Urlaubs möglich ist, ein Regelungsbedürfnis für den Antrag der Mutter aber nur bis zum Zeitpunkt des Urlaubs besteht. Entsprechend war der familiengerichtliche Beschluss um die fehlende Kostenentscheidung zu ergänzen. Das Familiengericht hat noch in gesondertem Verfahren über den Antrag des Kindesvaters zu entscheiden.

Praxishinweis:

Eine Fernreise an sich ist nicht immer zustimmungsbedürftig i. S. d. § 1687 Abs. 1 BGB. Entscheiden ist das allgemeine Lebensrisiko. Wenn es Sicherheitsbedenken gibt, darf ein Elternteil bei gemeinsamer elterlicher Sorge der Zustimmung des anderen Elternteils. Für alltägliche Angelegenheiten i. S. d. § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB hingegen muss die Zustimmung hingegen nicht eingeholt werden. Können die Eltern keine gemeinsame Entscheidung treffen, kann das Gericht gemäß § 1628 Satz 1 BGB entscheiden. Die Türkeireise ist nach der Rechtsauffassung des OLG Frankfurt am Main noch keine Angelegenheit des täglichen Lebens. Folglich muss die Zustimmung des anderen Elternteils vor dem Reiseantritt eingeholt werden.